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SCHUPPENTIERE IN NAMIBIA

Auf den Spuren eines Phantoms

Kein Tier wird so häufig geschmuggelt wie das Schuppentier. In Namibia tun Forscher und Ranger alles, um es vorm Aussterben zu bewahren. Es ist jedes Mal ein Wettlauf gegen die Zeit. Wer findet die scheuen Säuger zuerst: Jäger oder Ranger?

Text: Annika Brohm

Fotos: Tara Mette; Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)

  • Bild: Tara Mette
  • Video: Tara Mette





In einer klirrend kalten Juninacht im Jahr 2023 steht Kelsey Prediger in der Dunkelheit und wartet darauf, dass sich das Schuppentier zeigt. In der Nähe eines Erdbaus hatte die Radioantenne der Forscherin immer lauter zu piepen begonnen. Hier also muss es sich verkrochen haben. Um Prediger herum breitet sich der dichte Busch Namibias aus, über ihrem Kopf leuchten der Sternenhimmel und die Milchstraße.

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Rund eine Stunde lang harren die Forscherin und ihr Team unter dieser Kulisse aus, dann, als ihre Nasenspitze zu frieren beginnt, gibt Prediger auf. »Es ist zu kalt, das Schuppentier wird heute nicht mehr herauskommen«, erklärt sie. Sie schwenkt ihren Scheinwerfer hin und her und signalisiert ihren Rangern so, dass sie den Rückzug zum Geländewagen antreten. Im afrikanischen Winter bleibt der Gruppe nur ein winziges Zeitfenster, um die Tiere zu finden: Tagsüber verkriechen sie sich in ihrem Bau vor der Sonne. Ab den frühen Abendstunden flüchten sie vor der Kälte. Heute kamen Prediger und ihr Team zu spät.

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Experten gehen davon aus, dass Schuppentiere zu den am häufigsten geschmuggelten Arten der Welt gehören. Allein von 2007 bis 2018 wurden rund eine halbe Million Exemplare beschlagnahmt, wie ein Bericht der Vereinten Nationen zeigt, seit 2014 ist die Zahl der gehandelten Tiere dabei dramatisch gestiegen.



  • Bild: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)



Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte der illegale Handel 2019, bevor die Zahl der Beschlagnahmungen 2020 und 2021 merklich zurückging. Welchen Einfluss die Pandemie auf diesen Rückgang hat, ist bislang allerdings unklar: Die jüngsten Daten des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) reichen nicht über das Jahr 2021 hinaus.

Besonders in Asien sind die Hornschuppen der Tiere begehrt. Zu Pulver vermahlen sollen sie Beschwerden wie Rheuma lindern und Müttern bei Stillproblemen helfen. Dabei bestehen sie nur aus Keratin – so wie Haare und Fingernägel. Und auch sein Inneres macht das Schuppentier zur lukrativen Beute: In Afrika wird sein Fleisch auf lokalen Märkten teilweise als »Bushmeat« gehandelt. In Asien servieren einige Restaurants das Fleisch derweil als Delikatesse, auch wenn der Trend insgesamt rückläufig ist.

Während der illegale Handel in den vergangenen Jahren neue Dimensionen angenommen hat, schrumpft der Lebensraum der Schuppentiere immer weiter zusammen. Im südlichen Afrika zum Beispiel werden Elektrozäune immer öfter zur tödlichen Falle für sie. Die Liste der Bedrohungen sei lang, erläutert Prediger, das Bewusstsein dagegen gering. »Viele Menschen haben noch nie von Schuppentieren gehört.«

Kelsey Prediger

  • Bild: Tara Mette



Eigentlich war die US-Amerikanerin 2016 in den Südwesten Afrikas gezogen, um Raubkatzen zu erforschen. Dann aber sah sie zum ersten Mal ein Steppenschuppentier (Smutsia temminckii). Mit seinem gepanzerten Körper und seinem langen Schwanz erinnerte es Prediger an ein Reptil aus vergangenen Zeiten.

Vor allem dann, wenn es seine Vorderbeinchen beim Laufen vor sich trug wie ein kleiner, harmloser Tyrannosaurus rex. Tatsächlich sind Schuppentiere aber Säugetiere – und zwar die einzigen, deren Körper mehr oder weniger vollständig von einem Schuppenkleid bedeckt ist. Im Deutschen werden sie auch »Tannenzapfentiere« genannt, im Englischen »pangolin« oder »scaly anteater« – schuppiger Ameisenbär. »Schuppentiere wirken so trottelig und unschuldig«, sagt Prediger. »Ich habe mich sofort in sie verliebt.«

  • Video: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)

Als Prediger damals mehr über die Tiere erfahren wollte, fand sie überwiegend Publikationen aus den 1990er Jahren. Bis heute seien Schuppentiere kaum erforscht, berichtet sie. »Ihre Ökologie bleibt weitgehend ein Rätsel.« Nur wenige Menschen bekommen jemals eines der Tiere zu Gesicht. Sie sind nachtaktiv, scheu und leben oft in schwer erreichbaren Gebieten.

  • Bild: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)



Prediger lässt sich von all dem nicht abschrecken. Im Gegenteil: Gemeinsam mit ihrem Team aus Namibia will sie die klaffenden Forschungslücken schließen. 2020 gründete sie dafür die Pangolin Conservation and Research Foundation (PCRF). »Nur wenn wir mehr über Schuppentiere wissen, können wir sie auch schützen und retten«, sagt die Wissenschaftlerin.

Wie viele von den Säugetieren es weltweit noch gibt, lässt sich nur schwer sagen. Klar ist aber, dass die Bestände aller acht Arten schwinden. Besonders gefährdet sind Schuppentiere in Asien: Drei der vier dort heimischen Arten sind laut IUCN vom Aussterben bedroht. Da die Tiere in Asien kaum noch zu finden sind, richten Wilderer und Abnehmer ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf Afrika, den anderen Heimatkontinent der Säugetiere.

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Statistiken aus den vergangenen Jahren zeigen, wie eng die beiden Märkte inzwischen miteinander verwoben sind: Der Großteil beschlagnahmter Schuppen stammt aus west- und zentralafrikanischen Ländern wie Nigeria, dem Kongo oder Kamerun. Von dort aus werden sie in den meisten Fällen nach Asien verschifft. Das größte Abnehmerland ist China, gefolgt von Vietnam. Auch im Süden Afrikas werden Schuppentiere immer erbarmungsloser gejagt: In Namibia haben Behörden von 2015 bis 2021 knapp 500 Schuppentiere oder Körperteile von ihnen beschlagnahmt.



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Am Morgen nach der erfolglosen Suche sitzt Prediger wieder im Geländewagen. Begleitet von ihrem Team aus drei Rangern fährt sie immer weiter in die Tiefen der Kalahari-Wüste im äußersten Osten Namibias.



  • Bild: Tara Mette

Über Schotterwege holpert die Gruppe vorbei an dichten Laubsträuchern und Dornbüschen. In der Ferne ragen riesige Affenbrotbäume in die Höhe. Hier, im Nyae-Nyae-Schutzgebiet, stampft Prediger gerade das erste Schuppentier-Forschungszentrum Namibias aus dem Boden. »Nirgendwo haben wir bislang so viele Schuppentiere gefunden wie hier«, erklärt sie. Das sei vor allem den Einwohnern von Nyae Nyae zu verdanken.





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Das kommunale Schutzgebiet ist das Ahnenland der Ju/‘Hoansi, einer der ältesten Bevölkerungsgruppen der Welt. Wie und wo man die Schuppentiere findet, weiß wohl niemand so gut wie sie. Wenn sich die scheuen Wesen auf den Rücken legen und pfeifen, so hat es ein Stammesältester Prediger bei einem ihrer Besuche erzählt, wird der Regen kommen.

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Die Forscherin lenkt ihren Wagen vorbei am Dorf der Ranger. N!omdi besteht aus einem Dutzend kreisrunder Hütten mit Strohdächern, die sich großzügig auf dem Sandboden verteilen. Ein paar Frauen sitzen auf Decken und sortieren Pflanzensamen. In einem umzäunten Gemeinschaftsgarten nebenan wachsen Guaven, Papayas und Spinat. Nyae Nyae ist das einzige Gebiet in Namibia, in dem die Ju/’Hoansi ihre traditionelle Lebensweise aufrechterhalten dürfen, etwa die Pirsch mit Giftpfeil und Bogen.

»Für unsere Vorfahren war es normal, das Schuppentier zu jagen und zu essen, wie andere Tiere auch«, sagt Oma Sao. Bis vor einigen Jahren ging auch er mit Giftpfeilen auf Beutezug. Das Erlegen der Schuppentiere ist inzwischen allerdings auch in Nyae Nyae verboten. »Jetzt ist es unsere Aufgabe, sie zu schützen«, erklärt Sao. Seit 2021 arbeitet er als Ranger für die PCRF. Ob er hin und wieder noch jagen gehe? Der zierliche Mann schüttelt den Kopf und lächelt, wie so oft. »Dafür habe ich keine Zeit mehr.« Bei Tag und Nacht zieht er mit zwei weiteren Rangern aus N!omdi hinaus in den Busch, um wertvolles Wissen über das Schuppentier zu sammeln. Gemeinsam suchen sie nach Spuren, stellen Kamerafallen auf, harren manchmal bis in die frühen Morgenstunden vor Erdlöchern aus.







Wenn sie ein Schuppentier findet, schraubt die Gruppe um Prediger behutsam Bewegungssender an den Hornschuppen fest. Wie kleine Rucksäcke hängen die Geräte am Panzer der Tiere. Doch GPS-Geräte mitsamt regelmäßiger Datenübertragung sind kostspielig – und die finanziellen Mittel der Organisation begrenzt. Oft müssen die Forscher deshalb auf günstigere Radiosender ausweichen. Eine Antenne weist ihnen dann den Weg: Je lauter sie piepst, desto näher sind sie dem Tier.



  • Bild: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation Research Foundation (PCRF)

»So gewinnen wir natürlich nur dann Daten, wenn wir das Schuppentier auch aufspüren können«, sagt Prediger. Sie deutet auf eine App auf ihrem Smartphone. Auf einer Karte haben die Wissenschaftler markiert, wo die Tiere umherziehen und in welchen Bauten sie sich verkriechen. Über Hügeln von Termiten und Ameisen, der bevorzugten Beute der Insektenfresser, schwebt ein kleines Burger-Symbol.



  • Bild: Tara Mette



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Wie viele Schuppentiere sie bislang identifiziert haben, will Prediger aus Sicherheitsgründen nicht verraten. Sie sagt nur so viel: »Es könnte sein, dass in Namibia die gesündeste Population Afrikas lebt.« Mehr als eine Vermutung ist das bisher jedoch nicht. Niemand weiß, wie viele Schuppentiere tatsächlich durch das Wüstenland streifen. Sind es hunderte, tausende, zehntausende? Schrumpft die Population? Wie bedroht sind die Tiere? Wo genau leben sie, und wie viel Platz brauchen die Einzelgänger? All das will Prediger mit ihrer Forschung entschlüsseln.

In ihrer Masterarbeit hat die Biologin untersucht, wie Steppenschuppentiere in einem privaten Naturschutzgebiet im buschigen Zentralnamibia leben und überleben. »In den kommenden Jahren wollen wir uns weitere Habitate im Land anschauen: rund um Dörfer, auf Farmen, in Waldgebieten.« Um genügend Bewegungsdaten zu sammeln – von weiblichen und männlichen Tieren, von jungen und ausgewachsenen –, wird das Team voraussichtlich Jahre brauchen.

Als Prediger und die Ranger am nächsten Morgen durch das Gelände fahren, kommen ihnen ein paar aufgeregte Dorfbewohner entgegen. Vor Kurzem hätten sie ein Schuppentier in der Gegend gesehen, berichten sie. »Vielleicht ist es das Schuppentier, das vor einigen Wochen über die Grenze nach Botswana verschwunden ist«, überlegt Prediger. Obwohl das Nachbarland nur wenige Kilometer entfernt ist, hat die Gruppe schon lange kein Lebenszeichen mehr von dem Tier bekommen. Es könnte den Datensender verloren haben. Zumindest ist das die Hoffnung.



In der brennenden Mittagssonne marschiert Ranger Isack Ragece mit einem der Augenzeugen hinein in den dichten Busch. Außer Wasser haben die Männer nichts dabei, keine Karte, keinen Kompass.

  • Video: Tara Mette



Nach einer Weile bleiben sie plötzlich stehen. Mit einem Stock zeigt Ragece auf eine Armee aus Ameisen, die über den Wüstenboden krabbelt. Ein erstes Indiz, denn: »Wo Termiten oder Ameisen sind, da sind oft auch Schuppentiere«, erläutert er. Mit ihrer langen, klebrigen Zunge verschlingen die Säugetiere im Schnitt Schätzungen zufolge bis zu 70 Millionen Insekten pro Jahr. Als natürliche Schädlingskämpfer dienen sie dem gesamten Ökosystem – auch dem Menschen.

Inzwischen sind mehr als zwei Stunden vergangen. Immer tiefer dringen die beiden Männer in den Busch vor. Kilometer um Kilometer: nichts. Dann aber bleibt Ragece stehen und deutet auf eine schwache Spur im Sand. Sie ist geformt wie die Kralle eines riesigen Greifvogels und stammt von einem Schuppentier. Mit seiner Hand misst der Ranger die Umrisse ab. »Je länger die Kralle, desto größer das Schuppentier.«

Ranger Isack Ragece misst die Umrisse der Schuppentierspur ab.

  • Bild: Tara Mette

Die Männer inspizieren die Umgebung wie einen Tatort. Schließlich entdecken sie ein paar umgeknickte Grasbüsche. Wenige Meter daneben führt ein fußballgroßes Loch ins Erdreich, in das Ragece jetzt hineinkriecht. Bis zur Hüfte reckt er sich in den Bau. Außer ein paar schwarz-weißen Borsten findet er allerdings nichts. »Hier war mal ein Stachelschwein«, sagt er.

Von nun an machen die Männer an jedem einzelnen Erdloch Halt, kriechen hinein, suchen nach weiteren Spuren. Unterwegs pflücken sie Beeren und wilden Honig. Doch selbst nach mehr als drei Stunden können sie nicht genau sagen, wo sich das Schuppentier herumtreibt. Sie wissen nur, dass es da sein muss. Wie ein Phantom geistert es durch den dichten Busch. Die Frage ist: Wer findet es zuerst, Wilderer oder Ranger?

Isack Ragece und ein Augenzeuge untersuchen ein Erdloch.

  • Bild: Tara Mette

Die Motive beider Parteien könnten unterschiedlicher nicht sein. Und doch stehen sie vor derselben Herausforderung: Auch Jäger aus Uganda und Kamerun berichteten bereits 2018 auf Nachfrage der Vereinten Nationen, dass Schuppentiere immer schwieriger zu finden seien. Meist sind es Einheimische aus armen Verhältnissen, die mit der illegalen Jagd beauftragt werden. Im Vergleich zum Handel mit anderen Arten ist der Einstieg in den Schuppentierhandel denkbar einfach. Anders als bei Großwild wie Nashörnern brauchen die Jäger weder Gewehre noch andere Spezialausrüstung. Die Wilderer verfolgen die Tiere, wie es auch die Ranger tun. Einige stellen Drahtfallen im Lebensraum der Schuppentiere auf und warten, bis sie hineintappen. Andere legen Feuer und räuchern die Bauten der Tiere aus, bis sie ihren sicheren Unterschlupf verlassen.

  • Bild: Willem Van Zyl / stock.adobe.com; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft

Wenn sich Schuppentiere bedroht fühlen, rollen sie sich zu einer Kugel zusammen. Selbst der Biss eines Löwen oder eines Leoparden kann ihren Schutzpanzer kaum durchdringen. Für Wilderer aber sind sie leichte Beute: Sie heben die Tiere einfach vom Boden auf. Später verkaufen sie sie lebendig oder tauchen sie nach ihrem Tod in kochend heißes Wasser, um die Schuppen leichter entfernen zu können. 

Teilweise mehr als 15 Personen schleusen die illegale Ware von der Quelle bis zu ihrem Zielort. Der Profit wird entlang der Kette immer größer: In Uganda beispielsweise erhalten die lokalen Zwischenhändler pro Kilogramm Schuppen viermal so viel Geld wie die Jäger. Ihre Aufgabe ist es, die Schuppen in Säcke packen und in die nächsten Städte bringen. Dort übernehmen internationale Schleuser, zu denen laut Berichten der Vereinten Nationen auch reiche Geschäftsleute und Beamte zählen. Sie sind gut vernetzt – und bauen darauf, dass die Behörden sie im Zweifelsfall decken.

Immer mehr Regierungen verstärken allerdings den Kampf gegen den illegalen Handel. Namibia zahlt zum Beispiel seit einigen Jahren Belohnungen für Informationen, die zur Verhaftung von Schmugglern führen. Und auch in den Abnehmerländern haben sich die Bedingungen zum Teil verschärft. So hat China etwa 2020 den Handel mit Bushmeat stark eingeschränkt und Schuppentierschuppen außerdem aus seinem offiziellen Arzneibuch für die traditionelle chinesische Medizin gestrichen.

Kelsey Prediger mit einem geretteten Schuppentier.

  • Bild: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)

Rund ein Drittel der in Namibia beschlagnahmten Schuppentiere leben Prediger zufolge noch, wenn sie aus den Fängen der Schwarzhändler befreit werden. Viele von ihnen haben tage- oder wochenlang kaum gegessen oder getrunken, sind schwach und verstört. Selbst wenn die Tiere gerettet werden, bleiben ihre Überlebenschancen gering: In den seltensten Fällen geben die Wilderer preis, wo sie die Schuppentiere gefangen haben. Dann ist es Predigers Aufgabe, eine neue Heimat für die Tiere zu finden. Das Problem: »Wir wissen nur selten, wo andere Schuppentiere bereits ihr Revier haben.«

In ihrem Kerngebiet dulden Schuppentiere keine Artgenossen gleichen Geschlechts. Bei ihrer Feldforschung hat Prediger schon mehrere Male beobachtet, wie die sonst so scheuen Tiere ihre scharfen Krallen einsetzen, um ihr Revier zu verteidigen. »Die Kämpfe klingen dramatisch«, schildert Prediger, »als ob mittelalterliche Ritter in Rüstungen aufeinanderprallen würden.« Gesunde Tiere können sich meist von den Verletzungen erholen. Die Überlebenschancen eines ohnehin schon geschwächten Schuppentiers sind jedoch deutlich niedriger.

Wenn das Team ein Schuppentier frei lässt, beobachtet es deshalb im Anschluss jede seiner Bewegungen mit Hilfe von Datensendern: Lebt es sich ein? Findet es geeignete Erdbauten und ausreichend Nahrung? Trifft es auf andere Artgenossen?

  • Bild: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)



»Einige Schuppentiere sind so traumatisiert, dass sie zurück in der Freiheit einfach nur noch rennen, rennen, rennen«, erzählt Prediger. »Andere verkriechen sich in einem Erdbau und kommen nie mehr wieder raus.« Gerettete Schuppentiere bekämen ein zweites Leben geschenkt, sagt die Forscherin. Nur wisse niemand, wie kurz oder lang es sein werde.

Als das Team in der bitterkalten Juninacht vor dem Bau ausharrt und auf das Schuppentier wartet, erzählt Prediger flüsternd von Aurora. Behörden hatten das Weibchen aus den Fängen von Wilderern gerettet. Es war ängstlich, abgemagert, aggressiv. Wann immer Prediger sich ihm näherte, rollte es sich zu einer Kugel zusammen, hart wie eine Ritterrüstung. Doch trotz des Misstrauens erholte sich das Schuppentier allmählich. Täglich gingen die Forscher mit ihm im Busch spazieren, damit es dort selbst nach Nahrung suchen konnte. Aus 6,5 Kilogramm Körpergewicht wurden bald 10 Kilogramm.



  • Bild: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)

In der Nacht, in der sie das Weibchen wieder in die Freiheit entließen, rollte sich das Tier endlich auf. Ein Foto zeigt, wie es Prediger mit der Nase anstupst. Kurz darauf taufte die Forscherin es auf den Namen »Aurora«. Wie die römische Göttin, die jeden Morgen den Anbruch eines neuen Tages verkündet.

  • Video: Kelsey Prediger, Pangolin Conservation & Research Foundation (PCRF)





Annika Brohm

Die Autorin ist Journalistin und reist seit April 2021 durch den Süden Afrikas und den Nahen Osten. Davor hat sie in Darmstadt Online-Journalismus studiert und in Frankfurt als Redakteurin gearbeitet.



Tara Mette

Die namibische Fotografin lebt und arbeitet in der Hauptstadt Windhoek. Sie hat an der Academy of Design and Photography im südafrikanischen Stellenbosch studiert und sich danach selbständig gemacht. Ihre Leidenschaft gilt der Dokumentarfotografie.





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