Diese Website verwendet Funktionen, die Ihr Browser nicht unterstützt. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf eine aktuelle Version.
Kohlenstoffbilanz

Wo der Wald das Klima schützt – und wo nicht 

Wenn Bäume wachsen, ziehen sie große Mengen Kohlendioxid aus der Luft. Doch vielerorts machen ihnen Feuer, Landwirtschaft und Trockenstress zu schaffen. Eine datengetriebene Reise in ausgewählte Wälder dieser Erde.
  • Bild: GettyTim82 / Getty Images / iStock



Text: Tin Fischer

Es war ein Schockmoment: Der große Amazonas-Regenwald in Brasilien nehme unterm Strich kein Kohlenstoffdioxid (CO2) mehr auf, errechnete eine Forschungsgruppe im Jahr 2021. Womöglich stoße er sogar welches aus. Was die Fachleute damit meinten: Der Wald schrumpft. Durch Rodungen und Brände geht jährlich mehr Holz verloren, als durch Wachstum neues hinzukommt. Im größten Wald der Erde ist die Bilanz also gekippt. Aber nicht nur in Brasilien krankt der Wald, sondern auf der ganzen Welt. Bäume verdorren durch die zunehmende Trockenheit, fallen Borkenkäfern und anderen Schadinsekten zum Opfer, müssen Palmölplantagen weichen oder gehen in Flammen auf. All das stimmt und ist Besorgnis erregend.

Und doch ist dieses Bild unvollständig: Die Wälder der Welt nehmen insgesamt noch immer mehr Kohlenstoffdioxid auf, als sie verlieren. Sie absorbieren derzeit etwa 7,6 Gigatonnen CO2 pro Jahr, so viel wie die jährlichen Emissionen der USA und Indien zusammengenommen. Denn der Wald atmet ständig CO2 ein und aus.

Genau diese CO2-Flüsse versuchen Wissenschaftler des World Resources Institute (WRI), eines Umwelt-Thinktanks aus den USA, zu messen. Dazu analysiert ein Team um die Biologin Nancy Harris Satellitendaten, anhand derer sich erkennen lässt, wie sich die Wälder dieser Welt entwickeln. In einem groß angelegten Projekt ermittelten die Fachleute, wie viel CO2 im Jahr 2023 verglichen mit 2001 gebunden wurde oder dem Wald durch Rodung oder andere Prozesse verloren ging – und das mit einer eindrücklichen Auflösung von 30 mal 30 Metern.

Zeit für einen Waldspaziergang um die Welt. Wir fangen in Deutschland an.















Borkenkäfer auf dem Vormarsch: Deutschland









Jedes Jahr nimmt der deutsche Wald 68 Millionen Tonnen CO2 auf, zeigen die Berechnungen des WRI über die zurückliegenden 20 Jahre. Und das so gut wie überall, ob im Schwarzwald oder in Brandenburger Holzplantagen.











Doch nach mehreren aufeinander folgenden Dürrejahren seit 2018 vermehrte sich der Borkenkäfer und griff Bäume an, die von der Trockenheit geschwächt waren. Große Waldgebiete im Harz, im Sauerland und im Thüringer Schiefergebirge wurden zerstört. Die CO2-Bilanz des deutschen Waldes hat sich dadurch um ein Drittel verschlechtert.

  • Bild: Tin Fischer / EuroGeographics und UN-FAO; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft

Solange Wälder wachsen, entziehen sie der Atmosphäre CO2. Die Bäume binden es im Holz. Aber nicht nur dort. »Wenn man durch einen Wald geht, sieht man Laub oder Totholz auf dem Boden«, sagt Nancy Harris. Auch darin ist CO2 gebunden: Einige Bäume sterben; andere Bäume können größer werden. Und letztlich nimmt auch der Boden selbst immer mehr Kohlenstoff auf. »Das ist alles Teil der natürlichen Dynamik von Wäldern. Und all das wird in unserer Analyse als CO2-Absorption auf lange Sicht erfasst.«

Wenn wir dem Klima mit dem Wald etwas Gutes tun wollen, müssen wir ihn am Wachsen halten, also permanent Holz rausholen

Thomas Riedel, Forstwissenschaftler

Zwischendurch könne es Störungen geben wie Feuer, Stürme oder eben Borkenkäfer. »Doch auf lange Sicht binden Wälder CO2«, sagt Harris. In der Wissenschaft werde allerdings noch darüber diskutiert, wann die Wälder eine Art Gleichgewicht erreichen, bei dem sie gleich viel CO2 aufnehmen, wie sie verlieren.

Wo der Borkenkäfer gewütet hat, hinterlässt er nichts als braune Baumskelette. So wie hier in einem Wald in Nordrhein-Westfalen.

  • Bild: PJSFOTOMEDIA / Getty Images / iStock

Es ist also entscheidend, dass Wälder ständig wachsen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Holzwirtschaft. »Wenn wir dem Klima mit dem Wald etwas Gutes tun wollen, müssen wir ihn am Wachsen halten, also permanent Holz rausholen«, sagt Thomas Riedel, Förster und Wissenschaftler am Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde. Wird das Holz zu Möbeln oder Dachbalken verarbeitet, bleibt das CO2 für längere Zeit gespeichert.

Anders ist es in den Tropen, etwa im brasilianischen Regenwald. »Einzelne Bäume zu entnehmen, ist in den Tropen unwirtschaftlich«, sagt Riedel. »Tropenwälder werden aus ökonomischen Gründen daher meist im Kahlschlagsystem genutzt.« Dabei wird der Boden zerstört und kann nicht mehr regenerieren. Dennoch ist auch in einem tropischen Land wie Brasilien die CO2-Bilanz der Wälder kompliziert, wie Harris’ Daten zeigen. 











Am Scheideweg: Brasilien











Jedes Jahr werden in Brasilien rund drei Millionen Hektar Wald gerodet – eine Fläche so groß wie Brandenburg. In den vergangenen 20 Jahren gingen dadurch riesige Gebiete verloren. 









Trotzdem nehmen brasilianische Wälder unterm Strich immer noch etwas mehr CO2 auf, als sie durch Rodungen verlieren. Denn die verbleibenden Wälder gleichen die Bilanz aus.

  • Bild: Tin Fischer / EuroGeographics und UN-FAO; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft



Der Amazonas-Regenwald in Brasilien ist der weltweit größte tropische Regenwald und für seine Artenvielfalt berühmt. Doch Landwirtschaft, Industrie und globale Erwärmung bedrohen seine Existenz.

  • Bild: freedom_wanted / stock.adobe.com

Die Bilanz könnte jedoch bald kippen. Sogar der Amazonas-Regenwald, der einen stärkeren Schutzstatus genießt als viele andere Gegenden, ist zum Emittenten geworden. Während der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro von 2019 bis 2022 nahmen Rodungen dort stark zu. Illegale Holzfällerei und Brandrodungen wurden kaum noch verfolgt, die Emissionen stiegen, zeigt eine Studie von Luciana Gatti in der Fachzeitschrift »Nature«. Das Team um die brasilianische Wissenschaftlerin überfliegt seit 2010 die Wälder mit Kleinflugzeugen und nimmt an bestimmten Punkten über dem Amazonas und dem Atlantik Luftproben, um die Veränderung des CO2-Gehalts zu messen.

Während es in Brasilien noch Hoffnung gibt, ist die CO2-Bilanz in Indonesien bereits gekippt. 











Palmen statt Bäume: Indonesien











In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde in dem südostasiatischen Land enorm viel Wald gerodet, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen. Der Verlust dieser Wälder verschlechtert die Klimabilanz deutlich, weil viele von ihnen ursprünglich Moorwälder waren. Aus deren Böden entweicht besonders viel CO2, wenn sie trockengelegt werden.



Indonesien sticht allerdings auch deshalb auf der Karte heraus, weil die Daten des WRI nur die letzten 20 Jahre abdecken. »Wir haben vor allem deshalb erst im Jahr 2000 begonnen, weil wir Satellitendaten verwenden«, sagt Studienleiterin Harris. »Wir könnten zwar theoretisch bis in die frühen 1980er Jahre zurückgehen, hätten dann aber deutlich weniger Datenpunkte.«

  • Bild: Tin Fischer / EuroGeographics und UN-FAO; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft



In Indonesien gibt es die größten Moorwälder weltweit. Die Bäume wachsen auf mächtigen Torfflözen. Darin sind gewaltige Mengen CO2 gebunden – die entweichen, wenn die Wälder trockengelegt werden.

  • Bild: Sony Herdiana / stock.adobe.com

Länder, deren Wälder vor dem Jahr 2000 gerodet wurden, fallen daher nicht negativ auf – oder stechen im Gegenteil sogar heraus. »Wenn viel zerstört wurde, kann man viel wiederherstellen, und das tritt in den Daten dann positiv hervor«, sagt Michael Köhl, Forstwissenschaftler an der Universität Hamburg. China hatte in den 1970er Jahren viel ursprünglichen Wald gerodet und durch Akazien und Teakholzplantagen ersetzt. Vietnam wurde wieder grün, nachdem die Amerikaner die Wälder mit dem Herbizid Agent Orange zerstört hatten. Und die Briten haben ihre Wälder bereits im Mittelalter gerodet, um Häuser und Schiffe zu bauen, und die Flächen seitdem nicht wieder aufgeforstet. In den Daten wirkt Großbritannien daher neutral.

Künftig positiv auffallen könnte Kanada. 











Hoffnung nach dem Feuer: Kanada













Das Land im Norden Amerikas zählt mit einer bewaldeten Fläche von 4,2 Millionen Quadratkilometern zu den waldreichsten Staaten der Welt. In den borealen Nadelwäldern sowie Laub- und Mischwäldern sind große Mengen an CO2 gebunden.



Waldbrände haben im Jahr 2023 jedoch eine Fläche zerstört, die so groß war wie halb Deutschland. Dort dürften in den kommenden Jahren wieder Bäume nachwachsen.

  • Bild: Tin Fischer / EuroGeographics und UN-FAO; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft



Die Daten des WRI haben besonders für waldreiche Länder einen großen Wert. Tropische Staaten im Globalen Süden hoffen, im Fall einer positiven CO2-Bilanz Zertifikate auf den weltweiten Kompensationsmärkten verkaufen zu können. Die Käufer, seien es andere Staaten oder Unternehmen, können diese CO2-Zertifikate dann auf ihre Klimabilanzen anrechnen. Die Erhebung der Daten am WRI wurde wesentlich von Bezos Earth, der Stiftung des Amazon-Gründers Jeff Bezos, finanziert. Sein Unternehmen treibt gleichzeitig den Kauf von CO2-Zertifikaten aus Wäldern voran.

Harris dagegen sieht den Nutzen der Karte eher in der Politik. Die erhoffte Wirkung zeigt sich schon jetzt höchst eindrucksvoll bei den Sundarbans, den Mangrovenwäldern in Bangladesch und Indien.









Nachweisbarer Erfolg: Bangladesch















Mangroven stehen im Wasser und speichern ausgesprochen viel CO2, weil die Zersetzungsprozesse wesentlich langsamer ablaufen. In der Karte stechen sie besonders heraus. Bereits in den 1980er Jahren wurden die Sundarbans zum Weltnaturerbe erklärt.



Die Karten sollen in erster Linie Gebiete sichtbar machen, in denen man politisch intervenieren könnte. Oder Gegenden ausmachen, die besonderen Schutz benötigen. »Wenn eine Regierung die Abholzung ihrer Wälder reduzieren oder CO2-Senken vergrößern will, muss sie das in ganz bestimmten Gebieten tun«, sagt Harris. »Die Karte hilft zu verstehen, wo diese Gebiete sind.« Und es lässt sich anhand der Karte verfolgen, ob eine politische Maßnahme funktioniert hat.



Die Sundarbans sind die größten Mangrovenwälder der Erde. Sie befinden sich im Süden Indiens sowie in Bangladesch im Gangesdelta und erstrecken sich über 10 000 Quadratkilometer.

  • Bild: Tareq / stock.adobe.com
  • Bild: Tin Fischer / EuroGeographics und UN-FAO; Bearbeitung: Spektrum der Wissenschaft



Bilanz mit Unsicherheiten

In der Summe kommt das WRI zu dem Schluss, dass die Wälder der Welt in den zurückliegenden 20 Jahren 15,6 Gigatonnen CO2 pro Jahr aufgenommen und 8,1 Gigatonnen verloren haben. Unterm Strich entziehen sie der Atmosphäre also jährlich 7,5 Gigatonnen und wirken somit als wichtiger Puffer im Kampf gegen den Klimawandel. Doch dabei gibt es einen gewaltigen Haken: Die statistische Unsicherheit ist enorm, vor allem bei der CO2-Aufnahme. Anfangs kalkulierten die Forscher sogar mit einer Fehlerspanne von bis zu 49 Gigatonnen. »Wir haben mittlerweile ein Update gemacht, so dass die statistische Unschärfe nicht mehr so lächerlich groß ist«, sagt Nancy Harris. »Es bleibt jedoch dabei, dass wir uns bei der Messung der CO2-Abgabe der Wälder viel sicherer sind als bei der Aufnahme.«

Es bleibt jedoch dabei, dass wir uns bei der Messung der CO2-Abgabe der Wälder viel sicherer sind als bei der Aufnahme

Nancy Harris, Biologin

Wo Wald verloren gegangen ist, erkennt man auf Satellitendaten leicht: Ein Pixel wechselt bei einer Rodung sofort von grün zu braun. Anders ist es beim Wachstum: »Wir sehen nur ein grünes Pixel, das sich inkrementell verändert. Man braucht Langzeitmessungen, um diese Zahlen zu erfassen«, erklärt sie. Daten aus einer Studie, die mit Länderdaten arbeitet und im Juli 2024 im Fachjournal »Nature« veröffentlicht wurde, stützen allerdings die Erhebungen des WRI: Die Fachleute ermittelten dort einen Wert von 13 Gigatonnen für die CO2-Aufnahme bei kleinerer Unsicherheit.



Ich bin damit einverstanden, dass mir Diagramme von Datawrapper angezeigt werden.



Wie viel CO2 in einem Pixel steckt, müssen Harris und ihr Team mit statistischen Modellen hochrechnen, je nach geografischer Lage und Art des Waldes. Dazu nutzen sie Daten, die an verschiedenen Orten auf der Welt händisch erhoben worden sind. Eine grobe Methode.

In Deutschland ist die Inventur exakter, aber deshalb auch aufwändiger. Statt auf Satellitendaten setzen die Fachleute bei der Bundeswaldinventur, die alle zehn Jahre stattfindet, auf Messpunkte im Wald. »Wir haben ein dichtes Netz an Stichproben; in den meisten Bundesländern beträgt die Auflösung zwei mal zwei Kilometer«, sagt Thomas Riedel. »Die Koordinaten werden regelmäßig besucht und die Bäume dort vermessen.« Darüber hinaus lassen sich deutlich kleinere Prozesse überwachen: Baumarten, Totholzvorräte, Verjüngung oder Verbiss. »Das kann man mit Satellitendaten nicht erfassen. Dafür muss man in den Wald gehen«, sagt Riedel. Bei dieser Messung beträgt die Unsicherheit nicht einmal ein Prozent.